07 Okt

„Ein Live-Konzert ist durch nichts zu ersetzen“

Doppelspitze Künstlerische Leitung Internationales Gitarrenfestival Saitensprünge Bad Aibling

Im Gespräch mit der neuen Doppelspitze der „Saitensprünge“

Seit über 20 Jahren leitet der Musiker und Gründer der „Saitensprünge“ Johannes Erkes das beliebte Gitarrenfestival im Bad Aiblinger Kurhaus – nun bekommt er mit Augustin Wiedermann nicht nur einen erfolgreichen Gitarristen, sondern einen zweiten Künstlerischen Leiter zur Seite gestellt. Anlässlich der 22. Ausgabe des Internationalen Gitarrenfestivals vom 15. Oktober bis zum 6. November 2022 haben wir uns mit dem Duo getroffen und mit ihnen über die Einzigartigkeit von Live-Erlebnissen, die Zukunft der „Saitensprünge“ und wie man die großen Stars nach Bad Aibling lockt, unterhalten.

Die letzten Jahre lag die künstlerische Leitung in nur einer Hand, nun werden Sie diese Rolle zu zweit übernehmen. Worin liegt die Herausforderung – worin liegen die Chancen einer „Doppelspitze“?

Johannes Erkes: „Ich war bisher alleiniger künstlerischer Leiter, habe dieses Festival gegründet und über 20 Jahre lang begleitet. Augustin Wiedemann ist mir bereits in den letzten Jahren Rat gebend zur Seite gestanden, da ist es naheliegend ihn auch offiziell in die künstlerische Leitung mit einzubinden. Wir haben aber ohnehin das Festival immer im Team geplant besprochen und organisiert. Augustin ist selbst Gitarrist und in der Szene viel besser verankert als ich es bin, daher ergeben sich hier natürlich spannende Perspektiven.“

Augustin Wiedemann: „Ich sehe auch nur die Chancen und positiven Perspektiven einer Doppelspitze. Schon seit Langem bin ich mit Johannes befreundet, wir spielen auch im Trio mit Kosho zusammen. Gegenseitiger Austausch war bei uns schon immer gegeben, jetzt wird er nochmal intensiviert.“

Herr Wiedemann, Sie sind schon seit Jahren für den beliebten Abend „Guitarrissimo“ im Rahmen der „Saitensprünge“ zuständig – und standen selbst bereits mehrfach auf der Bühne des Kurhauses. Was macht dieses Festival so besonders?

AW: „Es ist vielleicht nicht allen Leuten hier in der Gegend bewusst, was für ein international unglaublich renommiertes und hochklassiges Festival die Saitensprünge sind. In Europa gibt es fast nichts Vergleichbares. Eigentlich fallen mir da nur die Festivals in Cordoba und Uppsala ein, die ein ähnlich breites Spektrum und Stars in der Größenordnung bieten, wie sie hier in Bad Aibling zu hören sind. Der „Guitarrissimo“ Abend ist immer ein ganz besonderes Highlight für mich. Als aktiver Künstler ist es nicht ganz einfach, denn man spielt immer nur kurze Zeit und geht dann wieder von der Bühne. Doch die Dynamik der Abende ist einfach unschlagbar. Ich erinnere mich an das letzte Mal, als Ana Vidovic vor ihrem Soloabend bei uns sich „Guitarrissimo“ mit mir zusammen im Publikum angehört hat und restlos begeistert war.“

… wie gelingt es dem Festival eigentlich jedes Jahr aufs Neue so große Namen wie Al Di Meola, Pepe Romero oder Tommy Emmanuel nach Bad Aibling zu locken? Nur mit hohen Gagen dürfte das ja nicht funktionieren.

JE: „Die großen Namen sind immer gerne nach Bad Aibling gekommen – im Gegensatz zu den Metropolen werden sie bei uns persönlicher, intimer betreut. Das hat schon seinen Reiz und bisher war es auch so, dass auch die größten Stars gerne wieder gekommen sind und sich gut an Bad Aibling erinnert haben.“

AW: „Mittlerweile hat es sich auch bei vielen dieser Superstars rumgesprochen, dass die absolute Weltelite der Gitarristik schon bei uns gespielt hat. Das hilft auch in der Wahrnehmung.“

Herr Wiedemann, Sie sind gebürtiger Münchner und hervorragender Kenner der internationalen Gitarrenszene. Welchen Stellenwert hat das Saiteninstrument im süddeutschen Raum? Gibt es einen signifikanten Unterschied zum Rest der Welt?

AW: „Bei uns hat die Gitarre einen viel größeren Stellenwert als in vielen anderen Gegenden der Welt, in denen ich gespielt habe. In Spanien zum Beispiel ist ein Gitarrenkonzert überhaupt nichts Besonderes, hier umweht uns immer ein Hauch von Exotik. Viele Leute, die zum ersten Mal auf ein klassisches Gitarrenkonzert gehen, sind ganz erstaunt und begeistert, was auf diesem Instrument alles möglich ist.“

Die Corona-Pandemie hat auch die „Saitensprünge“ ordentlich getroffen und deutschlandweit zeichnet sich ab, dass das Publikum noch etwas zögerlich mit Konzertbesuchen ist. Warum kann ein Live-Konzert nicht durch einen Netflix-Abend auf der Couch ersetzt werden?

JE: „Ein Live-Konzert ist durch nichts zu ersetzen. Es macht halt einen Unterschied, ob der Künstler direkt vor Dir auf der Bühne performt oder man ihm auf einem iPad zuschaut…“

AW: „Ich erinnere mich noch lebhaft an die ersten Konzerte nach der Corona-Pause. Als Zuhörer bei Igor Levits Beethoven-Abend bei den Salzburger Festspielen hatte ich Tränen des Glücks in den Augen und zwei Stunden Gänsehaut, weil das Erlebnis einfach so unfassbar intensiv war. Und als ich das erste Mal selber wieder auf der Bühne stand (mit Johannes und Kosho in Italien) habe ich erst so richtig gemerkt, wie sehr es mir gefehlt hat, meine Musik mit Leuten live zu teilen. Man reagiert als Musiker ja immer auch auf die Spannung, die im Raum entsteht.“

Mit der Erfahrung und dem Netzwerk von Augustin Wiedemann kommt nun ein zweiter Blickwinkel auf die künstlerische Leitung des Festivals hinzu – auf was dürfen sich die Besucher in den nächsten Jahren freuen?

JE: „Die großen Guitar Heros sterben langsam aus, Nachfolger sind hier noch nicht in Sicht. Natürlich gibt es unheimlich viele exzellente Leute in allen Fächern. Aber eine Karriere wie Al Di Meola, Pepe Romero und so weiter ist heute nicht mehr so einfach zu realisieren. Wenn ein YouTube Gitarrist Millionen Klicks bekommt, heißt es noch lange nicht, dass auch viele bereit sind eine Konzertkarte zu kaufen. Die Herausforderung wird darin liegen, unser Festival künstlerisch hochkarätig zu besetzen und gleichzeitig für gutes Publikum zu sorgen.“

AW: „Wir sind die ganze Zeit untereinander in engem Kontakt, auch mit Thomas Jahn und seinem Team, um am Puls der Zeit zu bleiben und dieses wunderbare Festival immer spannend und auf dem höchsten Qualitätsniveau zu halten.“

Dieses Jahr stehen sechs Konzerte auf dem Programm der Saitensprünge. Auf welchen Abend freuen Sie sich besonders – und warum?

JE: „Ich liebe die klassische Konzertgitarre: alle Abende, die dieses Genre bedienen sind meine größte Freude.“

AW: „Eduardo Isaac ist für mich einer der größten Gitarristen der letzten 100 Jahre. Es ist ganz wunderbar, dass er zu diesem Festival kommt. Und Milos als Eröffnungskonzert ist auch ein absolutes Highlight. Er spielte erst vor kurzem als Solokünstler in der Royal Albert Hall in London, das schafft zur Zeit kein anderer klassischer Gitarrist. Royal Albert Hall und dann bei uns im Kurhaus – so soll es sein!“

Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!